Der Kunst Rebell aus Judenbach
Die Stiftung Judenbach hat dem vielseitigen Künstler Ali Kurt Baumgarten (1914–2009) eine eigene Ausstellung gewidmet und ihm damit ein bleibendes Denkmal gesetzt. Gleichzeitig hat sie einen kulturellen und touristischen Anziehungspunkt von überregionaler Bedeutung in Thüringen geschaffen. Denn Baumgarten gilt nicht nur als »der letzte deutsche Expressionist«, sondern auch als »der wohl bedeutendste Spielzeug-Gestalter der ehemaligen DDR«.
Besucher der Einrichtung können der Spur Baumgartens durch dessen mehrere Leben folgen: Seiner Kindheit und Jugend im Thüringer Wald. Seiner expressionistischen Sturm- und Drang-Zeit als Maler in München. Seinem Ausstellungs-Verbot während der NS-Zeit. Seiner erfolgreichen Karriere in der Spielzeug-Herstellung der DDR. Seinen Ausflügen in den Bereich »Kunst am Bau«. Und seiner Ankunft in der Demokratie nach der Friedlichen Revolution 1989, die Auslöser für das Entstehen seines überaus bunten Spätwerkes war.
Drei Jahre vor Beginn seines neunten Lebensjahrzehnts musste Baumgarten – er war inzwischen Dialyse-Patient und halb erblindet – aus gesundheitlichen Gründen seine aktive künstlerische Tätigkeit einstellen. 2004 wurde ihm von seiner Heimatgemeinde Judenbach die Ehrenbürgerschaft verliehen. Am 4. April 2009 starb Ali Kurt Baumgarten in einer Coburger Klinik – zwei Wochen nach seinem 95. Geburtstag. Seine letzte Ruhestätte hat er in einem Familiengrab auf dem Friedhof in Judenbach gefunden.
Schon als Kind waren Scheunentore, Hauswände und Mauern nicht vor ihm sicher: Kurt Baumgarten, der später seinen zweiten Vornamen Ali dem ersten voranstellte, bemalte sie »heimlich und immer auf der Flucht vor Erwachsenen mit Gipsstücken. Und als er 1920 in die Volksschule kam, interessierte er sich – so erzählte er später – nur für ein Fach: Zeichnen und Malen. Im Alter von 12 Jahren hospitierte er mit großem Eifer nachmittags an der Staatlichen Industrieschule Sonneberg, studierte dann sogar acht Semester an dieser Facheinrichtung. Bestärkt durch seine Lehrer, die seine außergewöhnliche künstlerische Begabung erkannten, fasste er hier auch den kühnen Entschluss, Kunstmaler zu werden und in die bayerische Hauptstadt zu ziehen.
1932 – ein Jahr vor der Machtergreifung Hitlers – bestand der knapp 18-jährige Judenbacher die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste in München. »Mittellos und mit knurrendem Magen« durfte er bei den damals schon berühmten Kunst-Professoren Karl Caspar, Hugo Troendle und Olaf Gulbransson studieren. Und Baumgarten begann voller Trotz, sich für den als »entartet« denunzierten Expressionismus einzusetzen. In ihm fühlte sich der junge Kunst-Rebell zu Hause: »Denn mit der NS-Kunst konnte ich nichts anfangen«. Nach dem Wintersemester 1933 verlies Baumgarten die Akademie, »weil durch die NSDAP kreatives Denken und Schöpfertum der Lehrkräfte und Studenten unterbunden wurde.«
Zurück in Judenbach, machte sich der nunmehr freischaffende Expressionist mit dem Fahrrad nach Berlin-Friedenau auf, um hier Kontakt mit Karl Schmidt-Rottluff aufzunehmen, dem berühmten Gründungsmitglied der expressionistischen Künstlergruppe »Brücke«. Durch seine Vermittlung konnte er in der damals namhaften Galerie Moeller am Schöneberger Ufer, wo schon Klee, Feininger und Kandinsky für Furore gesorgt hatten, seine Ölbilder auf Rupfen präsentieren. Nach drei Tagen wurde die Ausstellung allerdings durch den »NS-Kampfbund für Deutsche Kultur« abgesetzt. Am 22. März 1934 folgte ein Ausstellungsverbot durch die »Reichskammer der Bildenden Künste« in Weimar, das quasi einem Berufsverbot gleichkam.
Doch der Kunst-Rebell aus dem Wald arbeitete unbeirrt im Verborgenen weiter. So platzierte er zum Beispiel in einer Zeit, als das NS-Regime versuchte, Jazz als »Niggermusik« aus Deutschland zu verbannen, ausgerechnet einen »Neger« hinter ein Schlagzeug und lässt ihn »entartete Töne« ins Mikro röhren. Durch skripturale Zusätze (»Jazz« und »1935«) wird aus dem Holzschnitt eine Art Werbeplakat für die auch von ihm über alles geliebte Musik – und seine Kunst zum Politikum. Ermutigt wurde Ali Kurt Baumgarten durch Schmidt-Rottluff, den er immer als einen seiner wichtigsten Lehrer, Ratgeber und Förderer betrachtete. Und mit dem bis zum Jahr 1974 ein persönlicher Schriftverkehr nachgewiesen werden konnte.
Friedhelm Berger